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    Ex-Exphilosoph Avatar von Jovis
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    Das Universum des Alejandro Jodorowsky - Jodoverse

    Das wird jetzt nicht so GANZ einfach, aber da Jodo zunehmend bei Splitter veröffentlicht wird, da die meisten seiner Comics über den Incal-Zyklus miteinander verbunden sind (aber nicht alle!) und deshalb eine Unterhaltung oft serienübergreifend ist, macht es durchaus Sinn, einen solchen Thread aufzumachen. Es muss dazu gesagt werden, dass man die Filme dazuzählen muss, wenn man nicht NUR das Incal-Universum als Jodoversum versteht. Ich fange einfach mal vorsichtig an, in dem ich die Comics aufzähle und dazu ein paar wenige Erläuterungen gebe. Den Rest mache ich dann später. Oder andere. Ich lasse viele Sachen weg, die ich nicht für relevant halte. So zum Beispiel "Die Ritter von Heliopolis". Da können vielleicht dann andere mehr zusagen. "Borgia" und "Lust und Glaube" (mit Moebius!) lasse ich auch weg, weil ich die für zu eigenständig halte. Auch hier: wer da was zu sagen möchte...

    Zuerst mal die Werke, die nicht erklärtermaßen zum Incal-Kosmos gehören:

    Die Söhne von El Topo - 2 großartige Western-Bände bei Panini, die den Film El Topo fortsetzen und erneut das zentrale Vater/Sohn-Thema bedienen. Dessen Wichtigkeit erkennt man beim Gucken seiner Filme, in denen seine Söhne grundsätzlich tragende Rollen spielen, zum Beispiel spielen sie ihn selbst oder seinen Vater!

    Megalex - Gesamtausgabe bei Splitter, sieht irgendwie aus, als würde es zum Metabarone-Universum gehören, tut's aber nicht. Deckt aber thematisch ähnliche moralische Untiefen und Bereiche ab.

    Und nun das Incal- oder Metabarone-Universum, welches im Grunde komplett bei Splitter veröffentlicht ist.

    Incal - 6 Bände von Moebius gezeichnet. Eines DER grundlegenden Comicwerke des 20. Jahrhunderts. Hat viele von uns in ihrem Leseverhalten ähnlich geprägt wie die ganzen Zack-Jahre zusammen. Hier tritt der Metabaron erstmalig auf und die Technoväter auch. Das Vater/Sohn-Thema ist hier vertreten, aber längst nicht so dominant wie in späteren Werken.

    Vor dem Incal - wieder 6 Bände, aber nicht mehr von Moebius sondern Janjetov gezeichnet. Es gibt eine völlig neu gezeichnete GA, die aber nur Spott verdient. Die Splitter-GA ist DIE Referenzausgabe. Ist durchaus eine ordentliche Prequel-Saga, aber im Gesamtwerk Jodorowskys gar nicht mal so wichtig.

    Incal - Nach der Katharsis - mein Rat: vergesst es. Sollte ein neuer Zyklus mit Moebius sein, aber es wurde nur ein Band realisiert und ist damit nur ein Klotz am Bein, in den man droht zuviele unnütze Gedanken zu investieren.

    Der letzte Incal - 3 Bände. Und nun ja. Das ist so eine Sache. Wichtig zu wissen:

    Der Ur-Incal-Zyklus wird hiermit zur Irrealität erklärt. Und damit löst sich die gesamte Incal-Saga inklusive Metabarone und alles weitere in Nichts auf. Und damit fällt dieser Zyklus bei mir komplett durch. Ich habe ihn aber zu Hause und bin natürlich mal wieder davon beeindruckt, wie selbstkritisch Jodorowsky mit seinem eigenen Werk umgeht. Zur Not löst er die Selbstzerstörung aus. Für alle anderen geht es nach dem Spoiler weiter.



    Wer bis hierhin gelesen hat, hat vielleicht auch schon begriffen, dass das Jodoverse keine inhaltliche Chronologie aufweist, während aber eine Entstehungschronologie jeder inhaltlichen Chronologie den Hals umdreht. Auch hier: wer DARÜBER zuviel nachdenkt, übersieht dabei schnell die philosophische, kulturelle und spirituelle Bedeutung des Gesamtwerks. Wir behalten auch im Hinterkopf: eine dekadente Gesellschaft des Rausches und der materiellen Werte hat seine Spiritualität verloren und ein Mensch ohne Spiritualität ist des Todes. Damit nun zu den Werken, die essentiell Jodorowsky sind, aber auch dem Incalverse angehören:

    Techno-Väter - wir kennen sie aus dem Ur-Incal-Zyklus, was aber zum Verständnis kaum Bedeutung hat. Chronologisch kommt mir das ganze als vor dem Incal spielend vor, aber das muss nicht so sein. Oder? Jedenfalls geht es hier sehr intensiv um Kultur, Gesellschaft, Virtualität, Daseinszweck, kollektives Schicksal versus Einzelschicksal. Comic-gewordene Zivilisationsanalyse. Man muss es für sich betrachtet lesen, es macht auch im Zusammenhang mit dem Incal Sinn und Spaß. Zeichnerisch ist es Geschmackssache, inhaltlich kann es den weit geöffneten Freigeist umhauen und erweitern.

    Castaka - der später geschriebene Prolog zur Saga der Metabarone, der aber inhaltlich durchaus mit Recht als für sich gestellt zu betrachten wäre. Aber hier tauchen wir bereits ganz, ganz tief in das Vater/Sohn-Thema ein, und in den Komplex "Generationenübergreifende Identitätsfindung einer Familie oder Kultur".

    Meta-Barone - 2 Serien, die aufeinander aufbauen und immer wieder den Bereich Incal streifen (was den Zyklus "Der letze Incal" umso ärgerlicher macht!) und wo wir immer wieder 'unserem' Metabaron begegnen, dem mit der Ohrenhaube und dem Sohn. In der Metabaron-Saga steckt ganz viel Doctor Who, aber viel spiritueller, martialischer und düsterer.
    Serie 1: "Die Kaste der Meta-Barone" 1-8 plus "Die Waffen des Metabarons" - bei Splitter in 5 Bänden erschienen (4 Doppelbände und die "Waffen") und quasi die Geschichte der Meta-Barone nach Castaka und vor dem Ur-Incal. Aber Vorsicht: die Geschichte wird erzählt und erzählte Geschichte verändert die wahren Ereignisse. Wer erzählt warum? Das ist praktisch eine unumstößliche Wahrheit des Jodoversums und hier findet sich auch eine kleine Rehabilitation des Zyklus "Der letzte Incal"! Die Serie um die Metabarone ist Vorgeschichte zum Incal. Aber auch historische Entlarvung, Richtigstellung, Verfälschung und Epilog. Wer sich jemals mit Geschichte befasst hat, weiß eigentlich ganz genau, was hier wann warum wie erzählt wird. Es bleibt aber eine Wahrheit, dass die Themen Abstammung, Kultur, Kulturerbe, familiärer Missbrauch, Gewalt und Erkenntnis und viele mehr noch nie vorher in so intensiver Weise im Comic umgesetzt wurde. Man könnte durchaus behaupten, dass das Gesamtwerk Jodorowsky's mit Prousts Verlorener Zeit gleichzusetzen ist. Und es ist ähnlich anstrengend, aber auch ähnlich gehaltvoll.
    Serie 2: "Meta-Baron" - bislang 8 Einzel-Bände bei Splitter, die ich noch nicht gelesen habe. Die Serie setzt nach der ersten Serie ein, die Techno-Väter haben eine entscheidende Rolle, wodurch womöglich deren eigene Serie aufgewertet wird. Wie sich die Serie zum Ur-Incal stellt ist unbekannt. Aber wir haben hier durchaus zum ersten Mal eine Serie, die NACH dem Ur-Incal spielt und damit dann womöglich in einer zum "Letzten Incal" alternativen Realität. Ich bin kurz davor, mich endlich damit auseinanderzusetzen, obwohl leider der 8. Band nicht wie ursprünglich angekündigt der Letzte sein soll. Auch wichtig: die Reihe wurde nicht von Jodorowsky geschrieben, aber mitkonzipiert. Da gibt es leider in den Splitterbänden keine erläuternden Begleitmaterialien.

    Fazit: anders als in ALLEN anderen umfangreicheren Serien spielt hier die Kontinuität keine Rolle, weil Jodorowsky selbst sie relativiert. Man kann als Leser immer wieder neu entscheiden oder die Frage aufwerfen, was wann passiert oder ob etwas überhaupt als gegeben angesehen werden kann. Das erleichtert das Lesen ungemein. Selbst der Ur-Incal ist beim Lesen der später erschaffenen Serien nicht unbedingt Voraussetzung. Das Jodoversum ist prakltisch Gegenentwurf der Luftdichten Garage, denn das Jodoversum ist überall voller Löcher, Ein- und Ausgänge, Umdeutungen usw. Aber - seien wir ehrlich: das war die Luftdichte Garage auch. Wir halten es mal wieder mit Wittgenstein: wer die Comics als Leitern ins Verständnis benutzt hat, wird oben angekommen ihre Schwächen entlarven. Aber schmeisst sie dann nicht weg. Ihr werdet sie vermissen.
    Geändert von Jovis (03.12.2023 um 11:17 Uhr)

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