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polte
Zur Erklärung: "Die wahre Geschichte von Spirou" ("La Véritable Histoire de Spirou") ist ein umfangreiches Sekundärwerk eben über die Entstehung und Entwicklung von Spirou, vor allem mit Blick auf seine Rolle als Leitfigur des gleichnamigen Magazins. Es beleuchtet dazu Zusammenhänge und Hintergründe anhand zahlreicher Dokumente, Materialien und Interviews mit beteiligten Personen bzw. (gerade wenn es um die Anfangsjahre geht) deren Nachfahren. Damit ist es eine unschätzbare Informationsquelle, wenn man sich fundiert über diesen wichtigen Pfeiler der frankobelgischen Comictradition informieren möchte.
Verfasst wird das Ganze vom Comicforscher-Ehepaar Christelle & Bertrand Pissavy-Yvernault, die sich in den letzten Jahren zu so etwas wie den Haus-Historikern bei Dupuis entwickelt haben und dementsprechend auch einige der hochgelobten "Intégrales" des Verlages betreuen, wie etwa die Neuausgaben von "Tif et Tondu" ("Harry & Platte" bei Salleck) oder jüngst "Lucky Luke".
Das macht sicher eine Menge Arbeit, ist aber wohl nichts im Vergleich zur "Wahren Geschichte". Nach zwei Bänden, die die schwierigen Anfangsjahre abdecken (1937-1946) und die Phase von Wiederaufbau und Neuorientierung (1947-1956), als u. a. der junge Franquin "Spirou" übernahm, soll nun die Hochphase sowohl der Serie wie des Magazins bis 1968 folgen. Wenn man weiß, wie akribisch die Autoren bisher gearbeitet haben und nur eine ungefähre Vorstellung davon hat, was für eine enorme Entwicklung "Spirou" damals in dieser Zeit nahm, kann man sich leicht ausmalen, dass es eine Herkulesaufgabe ist, das alles zu sichten, sortieren und in eine lesbare Form zu bringen. Kaum vorstellbar, dass dafür die bislang üblichen ca. 350 Seiten ausreichen werden, aber leicht zu verstehen, dass der ursprünglich geplante Veröffentlichungstermin 2018 nicht einzuhalten war.
Das ist das eine. Die beiden Herausgeber der GA sind (schwer) beschäftigt. Ein anderer Grund, weshalb ein Band 17 mit dem "Spirou" von Morvan & Munuera auf sich warten lässt, könnte m. E. sein, dass das alte Konzept der Gesamtausgabe nun an seine Grenzen stößt. Bislang war sie strikt chronologisch aufgebaut, nach dem Prinzip, dass es immer nur einen Hauptzeichner bzw. Team für "Spirou" gab. Das hat sich nach 2000 grundlegend geändert, als sich das Spirou-Universum multipliziere. Mittlerweile gibt es neben der Stammserie, so es sie noch gibt, diverse Parallelinterpretationen (auf Deutsch in der "Spezial"-Reihe veröffentlicht), neuerdings einige Spinoffs und zusätzlich noch weitere Auftritte nebenher im Magazin. Aus künstlerischer Sicht sehr spannend, aber die alte Vorstellung von einem Spirou-Kontinuum ist damit überholt. Vielleicht sollte man deshalb auch nicht zu sehr auf die Weiterführung der GA warten - zumal sie sich jetzt recht zügig der Gegenwart nähert und Sammelbände für gewöhnlich etwas zeitlichen Abstand einhalten, damit die Einzelbände auch noch Verkaufschancen haben. Viel interessanter ist es, die aktuellen Veröffentlichungen zu beobachten und zu sehen, welche neuen Aspekte sie dem altbekannten Stoff womöglich abgewinnen können. Das macht wahre Traditionspflege aus, denn nur so kommt man voran.
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